12. Juli 2024
Erfahrungsbericht von Axel Langer, freier Journalist: Drei Löschfahrzeuge und eine Drehleiter sowie ein Sprinter mit Anhänger standen auf dem Gelände des Delbrücker Feuerwehrgerätehauses bis oben hin bepackt mit Feuerwehrausrüstung und Schutzkleidung. Noch war es dunkel als sieben Helfer den zehnten Konvoi der Delbrücker Ukrainehilfe in Angriff nahmen und Richtung Osten starteten. Mit den aktuellen vier Fahrzeugen hat die Ukrainehilfe aus Delbrück bislang 46 Feuerwehrfahrzeuge, Feuerwehrausrüstung, Medizintechnik und Lebensmittel im Wert von rund 3,5 Millionen Euro in das vom Krieg geschundene Land gebracht.
In der Nähe der polnisch-ukrainischen Grenze wurde übernachtet und am nächsten Morgen ging es zur Grenze. „Was uns dieses Mal wohl erwartet?“ war den Gesichtern die Sorge vor langer Wartezeit anzusehen. Doch mit vier Stunden Abfertigungsdauer lief alles glatt. Einige Fragen konnten schnell beantwortet werden und es über teils mit tiefen Schlaglöchern übersäte Straßen nach Lwiw. Auf dem Weg in die 800.000 Einwohner Metropole fiel auf, dass viele, riesige Eigentumswohnungskomplexe und Industriehallen neu entstehen. In Lwiw liefert uns die Feuerwehr eine Erklärung hierfür: Auf Grund der regelmäßigen Stromabschaltungen und der Energieknappheit fürchtet die Regierung, dass viele Menschen aus dem Osten der Ukraine umgesiedelt werden müssen. Dem Raum Lwiw würden dann allein 250.000 Binnenflüchtlinge zugewiesen. Ohnehin berichtet Witaly Turowzew, stellvertretender Leiter der Feuerwehr von Lwiw, dass zu regelmäßigen Stromabschaltungen komme. Durch die Zerstörungen der Energieinfrastruktur reiche der Strom nicht mehr für das ganze Land, so dass in regelmäßigen Abständen einzelne Regionen vom Netz genommen werden.
Erstes Ausladen von Ausrüstung in Lwiw
An einer am Rande von Lwiw gelegenen Feuerwache wird ausgeladen und sortiert. Feuerwehrschutzkleidung, Helme, Atemschutzgeräte werden ausgeladen. Ein Teil bleibt in Lwiw, weitere Feuerwehrausrüstung geht nach Charkiw, nach Odessa und nach Kiew. Noch im Laufe des Tages wurden die wichtigen Spenden abgeholt. Doch schon beim Ausladen wird der Krieg spürbar: Es erfolgen in zwei größeren Abständen Luftalarme, doch es droht keine Gefahr. Am Abend geht es dann in ein Hotel und ein erster Rundgang durch die Altstadt von Lwiw, die als UNESCO-Welterbe anerkannt ist. Würden in der Fußgängerzone nicht die Notstromaggregate dröhnen, es würde sich nach einer ganz normalen Stadt anfühlen. Viele Menschen sind bei strahlendem Sonnenschein unterwegs, sitzen in Cafés oder Restaurants. Aber der Krieg ist allgegenwärtig: An öffentlichen Gebäuden sind Kellerfenster mit Sandsäcken gesichert, alle drei bis vier Stunden werden die Notstromaggregate angestellt, weil der Strom abgeschaltet wurde, Statuen sind eingehaust und mit einem Splitterschutz umgeben und der nächste Luftalarm übertönte die friedliche Stille. Doch es scheint als wäre das längst Alltag geworden. Niemand reagiert. Eine abendliche Sperrstunde leert dann schnell die Straßen. In der Nacht folgen noch zwei weitere Luftalarme. Das Heulen ist unüberhörbar. Alle stehen senkrecht im Bett.
Am nächsten Tage muss noch fleißig umgeladen werden, schließlich fahren drei Helfer mit dem Sprinter wieder nach Delbrück zurück. Die vier Feuerwehrfahrzeuge werden bis unters Dach voll geladen. Unsere beiden Begleiter und Dolmetscher, Oxana Tatashuk und Heinrich Heinrichs treffen ein. Wir machen uns auf den Weg nach Hermakivka, einem kleinen Dorf in der Region Ternopil. Nach teils sehr schlechten Straßen und Schotterstrecken erreichen wir das kleine Dörfchen, das 1.500 Einwohner zählt. Die Dorfälteste Svitlana Stephanko empfängt uns. Sie erzählt, dass 50 Männer aus ihrem Dorf gerade an der Front sind. Sie ist sehr gerührt. „Für mich geht gerade ein Traum in Erfüllung. Das nächste Feuerwehrfahrzeug steht 20 Kilometer entfernt. Vor ein paar Jahren ist meine beste Freundin bei einem Wohnhausbrand ums Leben gekommen. Es hat viel zu lange gedauert, bis die Feuerwehr da war. Jetzt bauen wir eine eigene Feuerwehr auf. Viele Männer im Alter von über 60 Jahren haben sich bereiterklärt, das Fahrzeug zu besetzen. Einige hauptberuflich Feuerwehrleute übernehmen das Training“, übersetzt Heinrich Heinrichs. Nebenbei übernimmt Johannes Grothoff die Einweisung in das Fahrzeug. Das kleine Tanklöschfahrzeug hat uns die Feuerwehr Erwitte zur Verfügung gestellt. Wenige Minuten später sitzt die Dorfälteste etwas abseits auf einer Mauer und ein paar Tränen kullern. „Ich bin gerade überglücklich, ich kann nicht anders“, erstickt ihre Stimme vor Rührung. In einem nahegelegenen Wald wartet ein echtes Festessen auf uns. Es wird viel gelacht und das leckere Essen genossen. Plötzlich ist der Krieg weit weg.
In Vikno werden die beiden Löschfahrzeuge aus Bad Driburg übergeben
Nach einer Übernachtung in Privaträumen des Dorfes geht es weiter in das 50 Kilometer entfernte Vikno. Die Kleinstadt zählt rund 6.000 Einwohner und gehört schon zur Region Bukovina mit der Hauptstadt Czernowitz. Um die teils in erbärmlichen Zustand befindliche Straße abzukürzen, nutzen wir eine abenteuerliche Pontonfähre über den Dnijster. Die sehr alte Fähre verfügt über keinen Motor und nutzt die ordentliche Strömung des Dnijster zum hin und her pendeln aus. Die Maximalbelastung liegt bei 30 Tonnen. Vorsorglich wird jedes der drei verbliebenen Feuerwehrautos einzeln transportiert. Das Übersetzten der Drehleiter lässt bei der Gruppe Zweifel an der Belastbarkeit der Fähre aufkommen. Aber alles klappt. Müssen zu Beginn der Überfahrt alle Fahrzeuge bis ganz nach vorne fahren, damit das Heck der Fähre freikommt, müssten alle Fahrzeuge während der Überfahrt ein paar Meter zurücksetzen, damit der Bug der Fähre angehoben wird und an der Schotterstrecke anlanden kann. In Vikno werden die beiden Löschfahrzeuge aus Bad Driburg übergeben. Die Fahrzeuge und die Fahrer werden wie die zahlreichen Gäste gesegnet. Ein feierlicher Empfang erwartet uns in der Schule des Ortes. Mit den Nationalhymnen und einer Schweigeminute für die Kriegsopfer startet der Empfang. Der Bürgermeister findet viele Worte des Dankes. „Ihr Einsatz stärkt uns in dem Glauben eine Zukunft zu haben. Sie lassen uns eine Schulter zum Anlehnen spüren. Vielen Dank“, so der Bürgermeister. Uns wird klar, dass die persönliche Übergabe und die Begegnung mit den Menschen fast genauso wichtig ist, wie die Übergabe der Hilfsgüter. Die Fahrzeuge ersetzen ein 40 Jahre alten Ural, der auf 100 Kilometern 80 Liter Benzin verbraucht und auch sonst schon reichlich altersschwach daherkommt.
Am Folgetag erfolgt eine gründliche Einweisung in die Technik der beiden Löschfahrzeuge an einer Bergquelle. Die Feuerwehrleute packen ordentlich mit an und lernen viel neues. Der Bürgermeister nimmt alles mit dem Handy auf, so dass die verschiedenen Möglichkeiten der Pumpen nachvollzogen werden können. Die Feuerwehrleute sind ob der neuen Möglichkeiten sehr beeindruckt. Das Fördern von Löschwasser aus einem offenen Gewässer ist den Ukrainern unbekannt, insofern erschließen sich mit den beiden Fahrzeugen aus Bad Driburg für die Feuerwehr in Vikno ganz neue Möglichkeiten in der wasserreichen Gegend, in der Tomaten und Gurken für die ganze Ukraine angebaut werden. Beim Abendessen an einem malerischen See überfliegt plötzlich ein Düsenjet das Gelände. Alle halten ob des Tieffliegers sie Luft an. Doch unsere Ukrainischen Gastgeber geben schnell Entwarnung, das war ein Trainingsflug eines ukrainischen Jets.
Am nächsten Morgen nehmen wir die letzte Etappe nach Czernowitz in Angriff. Hier wird die Drehleiter aus Erwitte übergeben. Die Feuerwehr erklärt uns, dass sie zwar noch über eine große, 50 Meter lange Drehleiter verfügen, dieses wird aber in den nächsten Tagen nach Charkiw versetzt. Hier wird die nun überführt Drehleiter zum Einsatz kommen, bis die vom Ukrainischen Staat bestellen neuen Drehleitern eintreffen. In Czernowitz erklärt Andrej, warum die Feuerwehrkleidung für sie so wichtig ist. „Vom Staat bekommen wir eine Grundausstattung gestellt, die Qualität ist nicht sehr gut. Wir kaufen uns die Kleidung oft selber, die Preise haben sich aber mehr als verdreifacht. Feuerfeste Schutzkleidung ist fast unerschwinglich“, blickt Andrej mit großer Freude auf die Kleidung und die Helme. Alle Fahrzeuge wurden heil und in einsatzbereitem Zustand übergeben. Schließlich treten die Delbrücker über das rumänische Suceava den Rückflug an.
Fotos: Axel Langer